Das Grundstück und seine Eigentümer

Die Eigentümer

In der Johannisvorstadt ist die Reihe der früheren Besitzer nur mit Unsicherheiten zurückzuverfolgen, weil Brände, Kriege und Hochwasser immer wieder zu Veränderungen der Grundstücke führte. Das Mikwen-Grundstück, "die gabelentz 506", wird 1498 zum ersten Mal erwähnt; Besitzer war damals Nickel Peschel. Im 16. Jh. folgten Georg Preußer und Paul Gamper, im 17. Jh. die Magister Christoph Wernsdorf und Jacobus Richter (Prediger bzw. Pfarrer der Johanniskirche) sowie Thomas Pfefferkorn. Im 18. Jh. wohnten hier mehrere Generationen der Familie Müller (Seifensieder, Fuhrmann, Weißbäcker) und der Leineweberfamilie Hösel. 
Stadtarchiv Chemnitz, V XI 1b, Markbuch ab 1497, Bl 67; Markbuch 1705-1801

Da es um eine Mikwe geht, kommt von diesen 12 Besitzern dem Namen nach nur Thomas Pfefferkorn in Betracht. Pfefferkorn war zwar ein hochmittelalterlicher Berufsname für Gewürzhändler oder ein Übername für reiche Kaufleute oder pingelige Menschen, aber als Nachname in der frühen Neuzeit kommt er durchaus bei Juden vor. Im Raum Leipzig/Chemnitz ist er auch heute noch gut vertreten. 
Max Gottschald, Deutsche Namenkunde, Berlin Reprint 1971, S. 123; Rita Heuser, Pfefferkorn, in: Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschlands

Thomas Pfefferkorn wird im Markbuch der Stadt Chemnitz zwischen "M. Jacobus Richter, Pfarrherrn zu St. Johannis" (ab 1620) und Johann Müller "Seifensieder" (ab 1697) aufgeführt. Bei Pfefferkorn wurde leider weder Beruf noch Jahr angegeben.
Dennoch kann man ihn zeitlich etwas genauer einordnen. Frühestens nach dem Tod des Pfarrers im Jahr 1633 hat er das Anwesen übernehmen können. Da aber im Vorjahr die Johannisvorstadt von den kaiserlichen Truppen zweimal geplündert und niedergebrannt worden war, wird vom Haus des Pfarrers wohl nicht viel übrig geblieben sein. Es dauerte drei Jahrzehnte, bis sich Chemnitz von den Folgen des Dreißigjährigen Kriegs erholt hatte. Wir können daher vermuten, dass Thomas Pfefferkorn das Anwesen in den 60er oder 70er Jahren wieder aufgebaut hat und es bis 1697 besaß. Vielleicht war man in dieser schwierigen Nachkriegszeit eher bereit, trotz des sächsischen Ansiedlungsverbots eine Familie jüdischen Glaubens zu dulden.

Das Grundstück an der Gablenzbrücke

Alte Pläne der Johannisvorstadt
  • 1761: Johann Paul Trenckmann; Nachzeichnung
  • 1789: Friedrich Gottlieb Aster; Foto: Deutsche Fotothek
  • 1828: Carl August Hartwig; Foto: Stadtarchiv Chemnitz

Dieses Grundstück lag sehr verkehrsgünstig an zwei Fernstraßen. Wer nach Freiberg und Dresden wollte oder wer über Zschopau und Reitzenhain nach Böhmen reiste, musste das Johannistor passieren und kam hier vorbei. Den ältesten Plänen (siehe Abb.) kann man entnehmen, dass der Verkehr am Nordufer des Gablenzbach geführt wurde, also direkt vor diesem Grundstück. Außerdem mussten die Reisenden an dieser Stelle mit einer engen und steilen Brücke den Bach überqueren.

Die frühen Stadtpläne zeigen auch, dass zur Zeit der Mikwe die Dresdner Straße (oder Freiberger Straße) weiter stadtauswärts verlief. Erst die 1842/3 angelegte „Neue Dresdner Straße“ brachte dann diesem Grundstück die vorteilhafte Lage in einer Straßengabelung (siehe die Einzeichnung auf der alten Karte der Johannisvorstadt).

Ein weiterer Vorzug war die Lage an einem Bach. Brauchwasser und Abwasser vor der Tür zu haben, war in der Vormoderne ein Vorteil für Haushalte und unverzichtbar für manches Gewerbe. Der Gablenzbach bog hier von der Straße ab und floss dann in einem weiten Bogen nördlich um Chemnitz herum. Am Nordufer war dieses Grundstück das letzte bebaute; danach war in Richtung Westen und Norden viel Freiraum.

Für die Mikwe war aber ein anderer Aspekt wichtiger: Der Bach sorgte für einen hohen Grundwasserspiegel in der Uferzone. Die Gablenz kommt ja aus Richtung Erzgebirge und bietet daher eine verlässlichere Versorgung als die beiden Zubringer links der Chemnitz (Pleißenbach und Kappelbach). 

Des weiteren fällt die Größe des Grundstücks auf. Der Plan von 1761 gibt nur das Hauptgebäude an der Straßenfront wieder, allerdings verzeichnet er auch sonst Nebengebäude nur ungenau. 1789 taucht dann ein geräumiger Hof auf mit einem langestecktes Bauwerk an der Westseite. Bis 1828 wurden kleiner Anbauten daran vorgenommen sowie eine große dreiflügelige Anlage an der Ostseite errichtet. Dies hat vielleicht schon mit dem Gasthof "Goldner Anker" zu tun.

Lage, Größe und Bebauung des Grundstücks lassen vermuten, dass es zu den wichtigsten der Johannisvorstadt zählte. Über dessen Nutzung erfahren wir leider erst etwas im 19. Jh. ("Goldner Anker"). Sicher sind wir nur, dass es in früheren Zeiten nicht als Gasthaus gedient hat, denn die spärlichen (und schwer zu erreichenden) Konzessionen in der Johannisvorstadt sind in den Akten gut dokumentiert.