Die religiöse Bedeutung der Mikwe

Die reinigende Kraft des Wassers wird von vielen Religionen genutzt, um Riten sinnlich erfahrbar zu machen und ihnen eine spirituelle Bedeutung zu geben. Im jüdischen Glauben haben sich dazu eindrucksvolle Traditionen entwickelt, die in einem Ritualbad vollzogen werden. Es wird auf hebräisch mikwe genannt, was übersetzt soviel bedeutet wie "die Sammlung von Wasser". In der Torah stehen nur allgemeine Anweisungen dazu; die konkrete Ausgestaltung wurde im Midrasch und Talmud festgelegt.


Reinigung

Nach jüdischem Verständnis wird der Mensch unrein, wenn er z. B. mit Totem oder Blut in Berührung kommt. Durch das Eintauchen (tewilah), kann er wieder Reinheit erlangen und uneingeschränkt am Gemeinschaftsleben teilnehmen.

Man muss (einmal oder mehrfach) völlig untertauchen; davor und danach werden Gebete gesprochen. Wichtig ist, dass sich der ganze Körper unter Wasser befindet und dass nichts den Kontakt mit der Haut behindern darf. Man muss also zuvor sorgfältig alles Störende (z. B. Pflaster) entfernen und sich am besten vorher zuhause (oder in einem eigenen Baderaum bei der Mikwe) gründlich waschen.

Im jüdischen Alltag ist die Mikwe vor allem für Frauen wichtig, denn sie verlieren durch die Monatsblutung oder durch eine Geburt ihre Reinheit. Bei Männern sieht die Torah keine Verpflichtung vor, aber sie können sich freiwillig als Akt der Frömmigkeit diesem Ritus unterziehen. Vor hohen Feiertagen (vor allem Yom Kippur) besuchen häufig auch Männer die Mikwe.

Auch Gefäße für den Kultgebrauch und neues Geschirr muss in einer Mikwe untergetaucht werden, bevor es zum ersten Mal benutzt werden darf.

© Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Cod. hebr. 37, fol. 79v

Übergangsriten

Das Untertauchen ist auch fester Bestandteil jüdischer Übergangsriten. Wer den jüdischen Glauben annehmen will, muss beim Übertritt das Bad in Anwesenheit von Rabbinern vollziehen. Außerdem gehört es zur Vorbereitung auf eine Hochzeit.

Initiationsriten durch Eintauchen waren in der antiken Mittelmeerwelt bei den Mysterienkulten (z. B. Eleusis) oder bei den Erlöserreligionen (z.B. Mithras) weit verbreitet. Manche sehen auch Parallelen zur christlichen Taufe, aber die kommt aus einer anderen jüdischen Wurzel. Johannes der Täufer verkündete die nahe Ankunft des Messias und damit "das Ende der Tage"; er mahnte daher zur Umkehr. Die Taufe im Jordan, die er auch an Jesus vollzog, war ein Symbol der Läuterung: Der Täufling tat Buße, änderte sein Leben und war bereit für die erwartete friedliche Weltordnung. Die frühen Christen nahmen diese Taufe zum Vorbild, interpretierten sie neu und machten sie zum zentralen Aufnahmeritual ihrer Gemeinschaft.


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