Juden in Chemnitz

Die jüdische Gemeinde im 19. und  20. Jh.

Ab den 1830er Jahren sind vereinzelt Juden in Chemnitz nachgewiesen, ab 1867 wurde der Zuzug vom Staat freigegeben. Seit 1875 gab es eine jüdische Gemeinde, die 1899 eine prächtige Synagoge errichtete. Die Gemeinde wuchs bis auf 3500 Personen an; ihre Mitglieder wurden zum konstruktiven Bestandteil des öffentlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens der Stadt. 

Nach der Vernichtung durch die Nationalsozialisten kamen 57 überlebende Gemeindemitglieder wieder zurück. Die kleine jüdische Gemeinde erhielt nach der Wende durch Zuzug einen gewaltigen Schub und zählt heute ca. 550 Mitglieder; 2002 wurde die neue Synagoge eingeweiht.

Alte und neue Synagoge

© Jüdische Gemeinde Chemnitz

Zur Vertiefung:


Jüdisches Leben in früheren Jahrhunderten?

Für die Jahrhunderte zuvor – in denen die Mikwe entstand – fanden die Historiker bisher in Dokumenten und bei Straßen- oder Flurnamen nur schwache Hinweise auf in Chemnitz ansässige Juden. So erscheint z.B. nur in einem Stadtplan von 1789 ein "Judengäßgen"; es war ein Nebenweg vom Johannistor zum Markt und wird ansonsten als "Zuckergasse" bezeichnet.

Im Mittelalter lebten Juden in Sachsen bis zu den Pest-Pogromen im Frühjahr 1349; in Zwickau z.B. ist eine jüdische Gemeinde bezeugt. Ab 1360 wurden Juden wieder geduldet; sie wurden nun auch in weiteren Orten ansässig. Gesichert ist dies für Glauchau und Rochlitz, auch in Chemnitz waren sie wohl anzutreffen. Allerdings setzten 1389 wieder Vertreibungen ein, und die Hussitenkriege in den 20er/30er Jahren des 15. Jh. gaben Anlass zur völligen Verbannung aus Sachsen, die bis ins 19. Jahrhundert in Kraft blieb. In den Jahrhunderten also, in denen die Chemnitzer Mikwe nach Aussage der Archäologen entstanden sein kann, war in Sachsen die Ansiedlung von Juden (ausgenommen Leipzig und Dresden) verboten.

Eine Sonderregelung gab es im Jahr 1766; da erlaubte der Landesherr die zeitweilige Ansiedlung von drei jüdischen Unternehmern vor den Toren von Chemnitz. Sie sollten in Sachsen eine eigene Pottascheproduktion aufbauen. Man brauchte dieses Kaliumsalz damals zum Bleichen und Färben, aber auch zur Glasherstellung. (Stephan Weingart: Das Pottaschewerk in Chemnitz, in: Chemnitzer Roland 2022 / 2, S. 7ff)


Juden auf Durchreise

Eine Mikwe in einer Stadt ohne jüdische Gemeinde scheint keinen Sinn zu machen. Aber man muss auch bedenken, dass viele jüdische Händler in der Umgebung von Chemnitz unterwegs waren, weil sie in den benachbarten Herrschaften (z.B. in Glauchau und Altenburg) zugelassen waren. Außerdem hatten die sächsischen Kurfürsten zur Leipziger Messe weiterhin jüdische Kaufleute zugelassen. Die Wege dieser „Messejuden“ waren allerdings strikt reglementiert und überwacht. Wer aus Böhmen oder Mähren kam, der durfte nur den Korridor über Reitzenhain, Marienberg, Stollberg und Chemnitz nutzen; erst nach 1750 konnten sie sich freier bewegen. Chemnitz spielte auf dieser wichtigen Route eine besondere Rolle, denn hier war das Geleitsamt, bei dem die Händler neben dem Zoll auf die Waren auch das „Judengeleit“ zu bezahlen hatten.

War die Mikwe etwa für die durchreisende Kaufleute gedacht? Dagegen spricht, dass auf Reisen die Reinheitsgebote nicht beachtet werden müssen, sodass eine Mikwe nicht zwingend erforderlich gewesen wäre; außerdem war das rituelle Bad vor allem für Frauen wichtig.

Allerdings ist für Mainz ein solcher Fall belegt (Ziwes S. 89f.). Dort waren um 1470 alle Juden aus der Stadt (und dem ganzen Herrschaftsgebiet des Erzbischofs) ausgewiesen und die Synagoge zu einer Kapelle umgebaut worden. Die Mikwe jedoch blieb im Gebrauch, wie wir aus einer Verfügung aus dem Jahr 1492 erfahren. Dem Juden Isaak und seiner Familie wurde gestattet, im "Judenbad" zu wohnen und dort auswärtige Juden ein bis zwei Tage zu beherbergen, nachdem sie Zoll und Geleitsgeld entrichtet hatten. Isaaks Familie und die Gäste durften die Mikwe benutzen. Allerdings war dies wohl kein Akt der Humanität oder religiöser Toleranz, denn bei jeder rituellen Nutzung waren dem Erzbischof zwei Pfennige (ungefährer Gegenwert: ein Liter Bier oder vier Eier) zu entrichten. 

Wo nahmen die durchreisenden jüdischen Händler in Chemnitz Quartier? Wir wissen, dass sie im 18. Jh. in bekannten Gasthöfen in der Innenstadt logierten; wenn dies auf dem Mikwe-Grundstück passiert wäre, dann wäre dies sicherlich in den Akten erwähnt worden. In früheren Jahrhunderten ist es jedoch durchaus vorstellbar, dass sie bei einem Glaubensgenossen in einer Vorstadt unterkamen, der die Konzession besaß, sie zu beherbergen und ihnen auch ein rituelles Bad anzubieten. Das Mainzer Beispiel kann ein Einzelfall sein, aber die Landesherrn im 15. Jh. hatten bei ihrer restriktiven Judenpolitik sehr wohl im Blick, was in anderen Territorien angeordnet wurde. Wenn der ranghöchste Fürst im Reich in seiner Residenzstadt eine Sonderlösung verfügt hat, dann könnte das auch anderswo nachgeahmt worden sein. Auf jeden Fall war bei jüdischen Reisenden ein Bedarf  für eine Mikwe vorhanden.